Urban Gardening: Oase in der Betonwüste
Zu meinen Anfängerzeiten in Wien vor vielen Jahren gab die Stadt ihrem Ruf als melancholisch mieselsüchtig grantelnde und vor allem graue Metropole alle Ehre. Die Hinterhöfe waren geruchsproblematische Abstellplätze für Unrat aller Art und von der Freude über selbst gezogene Tomatenpflänzchen am Balkon war die Jeunesse so weit entfernt wie vom Stolz auf 6erlei Kräuter am Küchen-Fensterbrett. Die Begeisterung über Grünzeug, das man gießen musste, damit dann Paprika und Fisolen wachsen, überließ man vielleicht älteren Menschen oder aber solchen mit arrivierten Gärten – irgendwo am Stadtrand oder weit weg „am Land“, wie der Wiener zu sagen pflegt, wenn er gerade nicht seine Stadt meint.
Kein Mensch meiner als-ich-jung-war-in-den-90ern-Generation wäre auf die Idee gekommen, sich seine eigene kleine Samenbank anzulegen, Saatgut auszusäen und dann in kindisch freudiger Erregung den Pflänzchen beim Wachsen zuzusehen, die ersten Blüten liebevoll willkommen zu heißen und einige Wochen später andächtig die Früchte zu ernten. Yuccapalme und Ficus Benjamini waren damals die einzigen Indoor-Pflanzen der Zeit (aber das ist eine andere Geschichte…).
Die Sache hat sich geändert. Und das ist genial. Denn was da seit einigen Jahren am urbanen Acker sprießt, blüht und gedeiht, wächst keineswegs in prallen Gärten. Auf Fensterbrett, Balkon oder Terrasse stehen nun Töpfe, Tröge und Schalen. Die Besitzer sind quasi die neue „Generation Garteling“. Sie sind gekommen, um zu ernten! Willkommen im Urban Garden! Mittlerweile ist die neue städtische Freude am Garteln natürlich schon fast wieder Tradition in den schnelllebigen Moden, bei denen Coolnessfaktor ebenso wie Hipnessgrad nicht unwesentliche Treiber für Massenphänomene sind. Sagen vielleicht die Trendforscher an dieser Stelle. Ich sage, es macht einfach Spaß!
Denn: Ich will daran glauben, dass es schlicht und einfach eine großartige logische Bewegung ist, die da in den letzten Jahren die Töpfe und Tröge füllt, um anzusäen, großzuziehen, zu begrünen – und zu ernten. Die Lust am Selbermachen überkommt uns beim Kochen schon längst. Ganz natürlich, dass wir das, was in der Pfanne landet, ebenso mit eigenen Händen pflücken wollen.
Und natürlich fotografieren! Denn eines können wir Social-Media-Nerds wohl nicht leugnen: Ohne Facebook, Twitter, Instagram & Co. hätte sich Urban Gardening wohl nicht so rasant entwickelt. Nichts inspiriert schließlich mehr als der Ehrgeiz, den Nachbarn in Kürbisgröße, Zucchinilänge und Blütenfülle zu übertreffen. Die realen Nachbarn kennen wir selten in der Stadt. Die sozialen Netzwerke liefern uns täglich auf Wunsch dutzende, hunderte, tausende virtuelle Nachbarn, denen wir unsere Chilischoten-Ernte zeigen können.
Lasst Euch also anstecken von der Lust am Garteln in der Stadt. Die nächste ich-hab-sie-selbst-gepflanzt-Party kommt bestimmt! Und wer weiß, vielleicht sogar mit dem einen oder anderen realen Nachbarn.
ja, ich kann mir gut vorstellen, daß menschen die kein gärtlein besitzen, ihre terrassen und balkone begrünen und zum blühen bringen wollen und das eine oder andere gemüse ziehen ! meine schwester hatte auch eine terrasse, auf der sie unzählbare kleine töpflein stehen und überall hängen hatte, kletterpflanzen, die wunderschön blühten. und so war sie unentwegt am zupfen, hin und herstellen, neu arrangieren und am meisten freude hatte sie, wenn sie irgendwelche samen, die sie unterwegs einsammelte, zum blühen bringen konnte. ein problem waren trockenperioden, da kam sie mit dem gießen nicht nach ! mittlerweile wohnt sie in einem kleinen häuschen und rundherum hat sie blumen und die größte freude an allem, auch wenns eine plage ist,mwie jeder mit garten weiß !
Ja, mei Red‘, Garteln hat das Glückshormon!
Als Vertreterin der „neuen urbanen Garteling-Generation“ (Jg. 88) finde ich diese Entwicklung eigentlich nur logisch … Wir sind aufgewachsen als Kinder der „Generation Reformhaus“ und Werte wie Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein, gesunder Lebensstil werden immer wichtiger. Gleichzeitig ist es uns aus realen wirtschaftlichen Gründen meist nicht mehr möglich mit spätestens Ende 20 „aufs Land zu ziehen“ und ein Haus mit großem Garten zu besitzen, wie es für unsere Eltern fast schon selbstverständlich war. Also behilft man sich mit dem was man zur Verfügung hat – und das sind eben ein paar qm Balkon oder Terrasse. 😉
Liebe restlesshedonist,
das ist eine unglaublich erfreuliche Entwicklung. Du fasst das sehr gut zusammen: Ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, die ein nachhaltiges Bewusstsein und Interesse schaffen. Der Rest ist die coolness deiner Generation, es auch tatsächlich umzusetzen. Viel Freude weiterhin beim Balkongarteln!