Die Salzburger Garten-Metamorphose
Der Garten meiner Kindheit bestand am Anfang aus nichts anderem als einer mit gutem Humus aufgeschütteten, penibel fein gerechten Ebene, angesät mit ehrlichem Grassamen und täglich mit feinstem Wasserstrahl von meinem Vater gewissenhaft gegossen. Es war bei Höchststrafe verboten, die Fläche für die nächsten Wochen zu betreten. Erst recht, sobald die zarten Grashälmchen sich in der Erde verwurzelten und ein grüner Schimmer den schwarzen Boden überzog.
Ein ernsthafter Akt, diese Rasenanlage, vor dem wir Kinder Respekt hatten. Als gälte es, nichts Geringeres als den heiligen Gral anzulegen, auf dass er in alle Ewigkeit die Familie einbette. Und so war es dann eigentlich auch. Seit beinah 40 Jahren wächst und wuchert, verschlingt und verstrickt sich, erobert und betört, erstaunt, atmet und lebt dieser Garten. In der Zwischenzeit ein wahres Wunderwerk.
Die Kenntnisse meiner Eltern über das Anlegen eines Gartens beschränkten sich also zunächst auf das Ansäen von Rasensaatgut. Die leere Fläche, die das Grundstück übrig ließ, nachdem ein Haus darauf gebaut worden war, erschien naturgemäß ein wenig trostlos. Aber, es war unser Garten – zum ersten Mal in meinem Leben wohnte ich in einem Haus mit Garten! Und der auf Solidität und Beständigkeit für Jahrhunderte angelegte Rasen ließ darauf hoffen, dass hier irgendwann einmal Großes wachsen würde.
Was allerdings damals niemand ahnte: Der Einstieg meiner Eltern ins Gartenleben mit gestrenger Rasenautorität war tatsächlich der Beginn einer wunderbaren Metamorphose zu künftig floristischer Anarchie – vielfältig und bunt, wild und überraschend, ungeordnet und unbändig. Aber dafür brauchte der Garten noch Zeit – und Laissez-faire.
Die übliche Situierung von Kleinfamilien in Eigenheimen der 70er-Jahre bestand im verlässlichen Bekenntnis zur Thujenhecke. Meine Eltern verweigerten sich diesem unausgesprochenen gesellschaftlichen Codex. Das allein schon war ein Zeichen, dass hier Garten-Punks Einzug gehalten hatten. Ich selbst konnte diese Resistance gegen das botanische Missverständnis freilich erst viel später deuten. Unterdessen besiedelten nach und nach Jasmin, Kirsch- und Apfelbaum, Berberitze, Feuerdorn und Buddleja, Kolkwitzie, Forsythie und Flieder in zufälliger Anordnung reihum und zwischendurch die Fläche. Mein Verständnis von Sicherheit beschränkte sich damals bis lang auf Einbauküche, Alibert, Sitzgarnitur und – Thujenhecke. Und meine Eltern brachen eben dieses mein Weltbild jäh, indem sie pflanzten, was gefiel. Was für ein kostbares Erbe an meine heutige Gartelpsyche!
Experten, der strategischen Planung von Gartenarchitektur kundig, hätten entnervt Schaufel und Nerven hingeschmissen bei der unorthodoxen Gestaltung. Meine Mutter lief in den Jahren zu Höchstleistungen auf, was das Ausgraben an der einen und das Eingraben an anderer Stelle betraf. Es gab Zeiten, da versank sie tagelang im Dickicht von Wildrosen und Hortensien, Lavendel und Rosmarin, Rhododendron und Azalee. Abendessen gab es on demand. Denn erst wenn die letzte Staude versorgt, das letzte Unkraut entfernt und das letzte Buschwerk geschnitten war, fand meine Mutter Frieden in der unersättlich ruhelosen Gartelseele. Niemals akademisch aus dem Lehrbuch bezog sie ihr Wissen – sie wuchs regelrecht und sprichwörtlich mit der Natur. Chemie und Kunstdünger gab es grundsätzlich keine.
Es war die Zeit, als ich mich von anfänglich begeisterter aktiver Mitarbeit im Garten zu autark pubertärer Selbständigkeit abwandte. Ich tauchte ab in meine Welt, jenseits von Akelei und Schlüsselblume. Der Garten wuchs mit mir und verwirklichte ein Eigenleben, das meine Eltern kaum zu bändigen im Stande waren. Efeu verschlang das Haus, Rosenranken eroberten den Balkon, wilder Ahorn bildete Baumriesen, Birken wurden zu Dächern. Die gesamte Darwin’sche Evolutionstheorie bestätigte sich im Mikrokosmos dieser tausend Quadratmeter am Stadtrand von Salzburg: Lebensraum für Milliarden von Bodenlebewesen, pure Artenvielfalt in Fauna und Flora. Überdimensionale Komposthaufen und vergessene Gartenwinkel, die Generationen von Igeln, Insekten, Würmern, Mardern, Schlangen und Vögeln beherbergten und nährten.
Die Krönung dieser wunderbar chaotisch botanischen Learning-by-Garteling-Genesis ist ein Bio-Schwimmteich. Lange, bevor sich Firmen auf die freizeitgeistigen Öko-Pools spezialisierten, grub mein Vater ein Riesenloch in den Garten. Zusammen mit kundigen klugen Köpfen entwickelte er ein funktionierendes ökologisches Wasser-Eldorado, das im Sommer zweihundert Quadratmetern des Neusiedler Sees ökotechnisch durchaus Konkurrenz macht (aber ohne Gelsen!).
Das eigentliche Wunder an der Salzburger Garten-Metamorphose ist, wie aus zwanzig Kilo Rasensamen nach 4 Jahrzehnten ein Paradies für Pflanzen, Tiere und Menschen gewachsen ist. In seiner Einmaligkeit, Schönheit und ökologischen Relevanz freilich für so manchen Nachbarn nicht so recht nachvollziehbar. So wurde unlängst die leise getuschelte Aussage hinterm Gartenzaun belauscht: „Die reinste grüne Hölle, da drüben!“
Ich denke, das wunderbarste Kompliment, das Herr Nachbar dem Garten meiner Eltern machen konnte!
Und bitte: Dranbleiben, bis ich jahreszeitenbedingt die echten Grüne-Höllen-Bilder liefern kann…
DANKE! … von der THEORIE bin ich SEHR begeistert, weil es klingt alles sooooo ansprechend und easy! jetzt hoffe ich für meinen garten auf breitenwirkung auch in der praxis! 😉
Einfach ist es wahrscheinlich so:
Wer sich von Anfang an von dem Vorsatz verabschiedet, seinen Garten auf Halm und Blüte gestalten zu können, der wird am meisten Freude haben. Der Rest sind erdige Fingernägel und wunde Knie…
ja so ist es, ein wilder garten,eine grüne hölle, ein geordnetes chaos,,kann nur entstehen, wenn man von kopf bis fuß sich einem garten hingibt. natürlich wäre es auch nicht schlecht, manchmal in den gescheiten gartenbüchern nachzusehen, als immer nur intuitiv vorzugehen. aber es macht viel mehr spaß. denn was soll anderes passieren, daß man das eine grüne wesen wieder ausgrabt und woanders hinsetzt und das ist erst der wahre garteling spaß ! na ja, und man lernt schon auch dazu und immer öfter gewinnt man das duell : garten wildnis. gegen gärtnerin ! und auch wenn nur allzu oft passiert, daß in 3 stufen übereinander gesetzt wird, weil man vergessen hat, was man da letzten herbst gesetzt hat und im frühling absolut kein leeres braunes fleckerl geduldet wird, irgendwas spitzt immer raus im frühling ! also ich bewahre mir meinen mut zu garteln nach liebe und lust !
heide