Wo die milden Kerle wohnen
Es ist soweit: Ich bin jenseits von Gut und Böse. Vielleicht ist das immer so, irgendwann nach dem Hausbauen, Kinderzeugen, Baumpflanzen, nach dem Visionieren und Hinterherhetzen auf der Zielgeraden, nach der Angestrengtheit, den Eitelkeiten und Seifenblasen, nach den Irrungen und Wirrungen, nach dem Sternegreifen, Mondanheulen und nach der Flügelschmelze (Ihr wisst schon: Höhenflug, Sonne, Hitze).
Aber jetzt bin ich da: jenseits von Gut und Böse – ein Ort, der mir gut tut. Oder vielleicht ein Zustand? Oder noch besser: eine Entscheidung? Die Entscheidung gegen das Schritthalten und Nachjagen, gegen die Aufgeregtheiten und Nervenzerfetzungen. Ich bin dort, wo die milden Kerle wohnen.
An diesem Ort, in diesem Zustand oder in dieser Entscheidung sagen die milden Kerle Hallo und heißen mich willkommen. Sie geben den Einsatz zum Amselzwitschern, zum Grillenzirpen, zum Windsäuseln. Sie lassen für mich die Birken rascheln und die Bienen summen. Sie komponieren für mich eine Symphonie aus Gras unter den Füßen und dem Augenblick. „Jetzt und hier!“, lächeln sie wissend und nicken mir zu. Sie nehmen mich an der Hand und führen mich durch die flirrenden Licht- und Schattenspiele im Wald, sie legen den Arm um mich und sie sind sehr, sehr leise.
Die milden Kerle und ich sind übrigens diesmal wieder in der Steiermark. Oder dachtet Ihr etwa wirklich, das spielt sich alles nur in meinem Kopf ab? Um bei den milden Kerlen jenseits von Gut und Böse zu landen, muss man schon einiges ganz real in Bewegung setzen: Die Großmutter von langer Hand als Babysitter engagieren, das Wochenende fixieren, das Zimmer beim Jagawirt reservieren, Schlechtwetterprognosen ignorieren, den Liebsten informieren, Tiefkühlpizza für den Nachwuchs deponieren, hoffen, dass jemand die blühende Stiege gießen wird, Koffer packen – und dann geht’s los.
Ich kann natürlich nicht umhin, auch diesmal wieder im Souvenirladen der milden Kerle vorbeizuschauen, um ein paar Kleinigkeiten mitzunehmen: Entschleunigung wähle ich diesmal und Geduld, von der Gelassenheit nehme ich gleich doppelt.
Davon ist erfahrungsgemäß immer am wenigsten da, wenn ich wieder zuhause bin.
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